Dienstag, 29. Januar 2008

Der "Ötzi": Ein Mann aus der Steinzeit



Video: "Le Mystère OTZI" bei Youtube
http://www.youtube.com/watch?v=5JHemqTHpVs

*

Leseprobe aus dem inzwischen vergriffenen Buch "Rekorde der Urzeit" (1992) des Wiesbadener Wissenschaftsautors Ernst Probst in alter deutscher Rechtschreibung:

Der am besten erhaltene Fund eines Menschen aus der Steinzeit wurde am 19. September 1991 in Tirol entdeckt. Dabei handelt es sich um die mumifizierte, vom Gletschereis eingeschlossene Leiche eines mindestens 20 Jahre alten Mannes aus der Zeit vor mehr als 3000 v. Chr.

Auf den Sensationsfund war das Ehepaar Erika und Helmut Simon aus Nürnberg in Nähe des Similaun-Gletschers in den Ötztaler Alpen gestoßen. Exakte Vermessungen ergaben, daß der Fundort in Südtirol, also auf italienischem Gebiet, liegt.

Der sogenannte "Similaun-Mann" ist fast 1,60 Meter groß. Seine Vorderzähne waren durch starke Beanspruchung beim Kauen von harter Nahrung sehr abgenutzt.

Es ist unklar, warum sich dieser Mensch bis in 3200 Meter Höhe in die Alpen vorgewagt hat. Diskutiert werden unter anderem die Zugehörigkeit zu Alphirten, die Jagd auf im Gebirge lebende Tiere (Gemsen, Steinböcke), die Suche nach begehrten Erzen (Kupfer) oder die Erkundung unbekannten Terrains.

Der Mann trug wetterfeste Kleidungsstücke, die innen mit Heu gefüttert waren, Schnürschuhe (Größe 38) aus Wildleder, "Socken" aus Birkenrinde und mit Gamshaar gefütterte Handschuhe. Er hatte Werkzeuge und Waffen bei sich. Zu seiner Ausrüstung gehörten auch ein hölzernes Tragegerüst, Feuersteine und Zunder in einem Lederbeutel zum Feuermachen, eine Pfeilspitze mit Holzgriff, die als Messer diente, ein Bogen aus Kirschholz und 14 etwa 75 Zentimeter lange Pfeile in einem Köcher sowie ein Beil mit Holzschaft und Metallklinge.

Wegen der Form des Beiles, das auf den ersten Blick einem sogenannten Knieholzbeil aus der frühen Bronzezeit ähnelt, hielt man den "Similaun-Mann" zunächst für einen Menschen, der vor etwa 2000 v. Chr. in der Bronzezeit gelebt hat. Doch Untersuchungen von Gräsern aus einem Geflecht, das zusammen mit dem "Similaun-Mann" geborgen wurde, ergaben an den Universitätsinstituten in Uppsala (Schweden) und Paris über einstimmend ein Alter zwischen 2616 und 2866 v. Chr.

Dies entspricht noch der jüngeren Steinzeit. Nach Altersdatierungen von winzigen Gewebe- und Knochenteilen in Oxford und Zürich könnte der "Similaun-Mann" sogar irgendwann zwischen 3100 und 3350 v. Chr. gelebt haben. Bisher lässt sich nicht genau sagen, um welche Kultur es sich handelt.

Zum Proviant des Gletschermannes zählten Dörrfleisch, Fladenbrot aus Gerste oder Hafer und getrocknete Beeren. Als Schmuck hatte der Mann eine durchlochte Steinperle, durch die sechs fingerlange Stricke gezogen waren. Rätsel geben die zehn in drei Reihen übereinander angeordneten Striche auf dem Rücken auf. Sie werden als Tätowierung gedeutet, die vielleicht als Stammes- oder Standeszeichen diente. Das Knie wurde von einem Farbkreuz verziert.

Der "Similaun-Mann" ist vermutlich zu Beginn der kalten Jahreszeit im Herbst von einem Schlechtwettereinbruch überrascht worden und hat daraufhin in einer windgeschützten Felsvertiefung Schutz gesucht. Dort könnte er vielleicht an Unterkühlung gestorben sein.

Die ungewöhnlich gute Erhaltung des Körpers ist nach Ansicht von Gerichtsmedizinern darauf zurückzuführen, daß der Leichnam durch Lagerung im lockeren Schnee bei windbedingter Trockenhaltung rasch mumifizierte. Bei der erst viele späteren Gletscherüberlagerung blieben Leiche und Ausrüstung völlig unverändert.

*


















Bild des "Ötzi" der Münchner Künstlerin Bettina Buresch für das Buch "Rekorde der Urzeit" von Ernst Probst

Nach Ansicht des Mainzer Archäologen Dr. Markus Egg war der "Ötzi" vermutlich ein Hirte, der zusammen mit anderen in der baumfreien Zone im hintersten Ötztal Schafe oder Ziegen hütete. Als ihm im Herbst durch ein Mißgeschick sein Bogen brach, stieg er ins Tal hinab, um dort einen Eibenholzstamm zu suchen, aus dem er einen neuen Bogen schnitzen konnte. Auf dem Rückweg zu seinen Kameraden mit dem noch unfertigen und nicht gespannten Bogen wurde der erschöpfte "Ötzi" am Hauslabjoch in etwa 3200 Meter Höhe von einem Schlechtwettereinbruch überrascht. Er suchte in einer windgeschützten Felsvertiefung Zuflucht und starb dort vielleicht an Unterkühlung.

Der "Similaun-Mann" kam bei dem ältesten bekannten Bergunfall ums Leben. Seine Hirtenkollegen haben nie erfahren, weshalb ihr Gefährte nicht zu ihnen zurückgekehrt ist.´

*

Lesetipp:
Der Fall "Ötzi" - Mord am Similaun
http://archaeologie-news.blog.de/2008/01/03/der_fall_otzi_mord_am_similaun~3521930

*

Aktuelle Vorträge von Dipl.Geol.Univ. Alexander Binsteiner:
1. Der Fall Ötzi - Mord am Similaun
2. Die EU der Steinzeit
3. Die Prospektion donau- und alpenländischer Silexlagerstätten in der Steinzeit
Anfragen bei: binsteiner@quick.cz oder binsteiner@geophysik.de

Aktuelle Publikationen von Dipl.Geol.Univ. Alexander Binsteiner:
Der Fall Ötzi - Raubmord am Similaun. Dokumentation.
Linzer Archäologische Forschungen. Sonderheft 38 (Linz 2007) 1-72.
10 Euro plus Versandkosten

Die Lagerstätten und der Abbau bayerischer Jurahornsteine sowie deren Distribution im Neolithikum Mittel- und Osteuropas. Sonderdruck aus Jahrbuch Röm. Germ. Zentralmuseum Mainz 2005, (Mainz 2006) 43-155.
15 Euro plus Versandkosten

Drehscheibe Linz - Steinzeithandel an der Donau. Linzer Arch. Forsch. Bd. 37 (Linz 2006) 1-116.
8 Euro plus Versandkosten

Die drei Hefte sind direkt zu beziehen bei:
binsteiner@quick.cz oder binsteiner@geophysik.de