Leseprobe aus dem Taschenbuch "Das Rätsel der Menhire" des Mainzer Archäologen Dr. Detert Zylmann:
Der Ausdruck „Menhir“ ist eine bretonische Bezeichnung keltischen Ursprungs für ein hochkantig aufgerichtetes Steinmal. Er bedeutet „Langer Stein“ (men = Stein, hir = lang) und fand bereits Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts als wissenschaftlicher Begriff Eingang in die archäologische Fachliteratur Frankreichs. Schon sehr bald wurde diese Bezeichnung auch für ganz Europa übernommen. Der volkstümliche Name, der insbesondere im westdeutschen Raum gebräuchlich ist, lautet „Hinkelstein“. Bereits im Mittelalter findet sich der Name „Hinkelstein“, eine missverstandene Ableitung des Wortes „Hünenstein“ (= Riesenstein) über „Hühnerstein“ zum mundartlichen „Hinkelstein“. Daneben kennen wir Bezeichnungen wie „Langer“, „Breiter“, „Hoher“, „Spitzer“ oder „Dicker Stein“, um nur die häufigsten zu nennen.
Menhire sind meist freistehend, einzeln, in Kreisen oder in Reihen angeordnet. Sie können künstlich in Form gebracht oder unbearbeitet sein. Einige sind verziert mit Mustern und Spiralen, menschlichen Darstellungen und Gerätschaften, die, wie noch zu zeigen ist, eine zeitliche Einordnung erleichtern. Von den Findlingen – während der Eiszeit verschleppte Felsbrocken – unterscheiden sich die Menhire dadurch, dass sie bewusst vertikal in der Erde verankert wurden. Sie sind in der Regel höher als breit. Auch ihre Lage im Gelände weicht von der der Findlinge ab. Menhire sind bevorzugt an Orte wie Berghänge, natürliche Anhöhen, Wegesränder oder an Wasserstellen und Bachläufen verbracht worden, immer in freier Flur und von weither sichtbar.
Es sind Steinmale unterschiedlicher Größe. Der größte heute noch aufrechtstehende Stein mit einer Höhe von 12 m und mehr als 150 t Gewicht ist der Menhir von Kerloas bei Plouarzel, westlich von Brest in der Bretagne. Auch der längste überhaupt bekannte Menhir befindet sich in der Bretagne. Es ist der umgestürzte „Grand Menhir Brisé“ auf der Halbinsel Locmariaquer im Departement Morbihan. Er ist in vier Teile zerbrochen. Ursprünglich etwa 21 m hoch wird sein Gewicht auf 350 t geschätzt. Niemand weiß, ob der Stein jemals aufrecht gestanden hat. Ihn mögen Fanatiker umgestürzt haben, oder er bestand schon immer aus mehreren Teilen, die bei der Aufstellung aufeinander getürmt werden sollten, Fragen, die sich heute nicht mehr beantworten lassen. Auch glaubte man Anhaltspunkte dafür gefunden zu haben, dass er aufrecht gestanden hat und erst in geschichtlicher Zeit umstürzte. Faszinierend bleibt die technische Leistung, die mit dem Transport und einer eventuellen Aufrichtung verbunden gewesen sein muss.
Die meisten steinernen Monumente weisen Höhen von 1 bis 3 m auf. Auch in ihrer Form variieren sie. Neben spitzen, obeliskenartigen Steinsäulen finden sich gedrungene, pyramidenähnliche Gebilde. Überwiegend wurden Gesteinsarten wie Quarzite, Granit-, Kalk- und Sandsteine verwendet, Materialien, die meist in der Nähe des Aufstellungsortes anstehen.
Menhire sind weit verbreitet in den unterschiedlichsten Landschaften mehrerer Kontinente. Der Schwerpunkt ihrer Verbreitung liegt in Westeuropa, von Südengland, Frankreich über Rheinland-Pfalz und Hessen bis nach Mitteldeutschland. Die Mehrzahl der in Frankreich registrierten Menhire befindet sich in der Bretagne; ihre Zahl in Carnac wird allein auf etwa 4000 geschätzt.
Flurnamen sind oft ein guter Indikator für vor- und frühgeschichtliche Fundstellen, sie bilden eine wichtige Quelle für die Rekonstruktion früh- und hochmittelalterlicher Besiedlungsvorgänge und sie liefern häufig den letzten Hinweis auf ein ausgegangenes Kulturdenkmal. Wie Flurnamen auf erhaltene oder inzwischen eingeebnete Grabhügel verweisen können, wie sich durch sie auch römische Siedlungen oder frühmittelalterliche Friedhöfe erschließen lassen, so sind auch ausgegangene Menhire gelegentlich in Flurnamen überliefert. Namen wie „Hüner- oder Hinkelstein“, „Langer“ oder „Dicker Stein“ können die einstige Existenz dieser Steinmale bezeugen.
Flurnamen dienten oder dienen vor allem dazu, dörflichen Bewohnern eine räumliche Orientierungshilfe zu geben. Da sie auch Besitzverhältnisse aufzeigen, ist ein Großteil der Namen in Urkunden, Archiven und Katastern dokumentiert und folglich sehr alt.
Ein schönes Beispiel für eine alte Flurnamenbezeichnung ist der „Lange Stein“ von Einselthum, Donnersbergkreis/Pfalz. Sie stammt aus dem Jahre 1071 und dürfte eine der ältesten urkundlich erwähnten Nennungen eines Menhirs sein.
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Das Taschenbuch "Das Rätsel der Menhire" ist nicht mehr lieferbar!